Art der Veröffentlichung: Rezension einer gerichtlichen Entscheidung (Fassung unten = vollständiges Manuskript der später gekürzten Veröffentlichung)

Ort der Veröffentlichung: Neues Polizei Archiv (NPA), Heft 11/1998 Nr. 902

Abweichen vom Regelfahrverbot bei Geschwindigkeitsüberschreitung

S a c h v e r h a l t :

Ein selbständiger EDV-Berater aus Nordrhein-Westfalen überschritt im September 1997 die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 39 km/h.

Die Straßenverkehrsbehörde setzte daraufhin die nach der Bußgeldkatalogverordnung vorgesehene Geldbuße und ein Fahrverbot fest. Der Betroffene legte gegen diese Entscheidung Einspruch ein, so dass die Sache dem Amtsgericht zur Verhandlung und Entscheidung vorgelegt wurde.

Der Richter beim AG verurteilte den Betroffenen zu einer Geldbuße von 500 DM und sah von der Anordnung eines Fahrverbotes ab. Die StA ging in die Rechtsbeschwerde, woraufhin der Strafsenat des OLG Düsseldorf das Urteil aufhob und an die Vorinstanz zurückverwies.

Bußgeldkatalogverordnung BKatV § 2 Abs. 1

Straßenverkehrsordnung StVO § 3 Abs. 3

Ordnungswidrigkeitengesetz OWiG § 10

1. Das Absehen von der Anordnung des Regelfahrverbots ist nicht allein deshalb gerechtfertigt, "weil der Betroffene nicht vorbelastet und die Existenz seiner im Aufbau begriffenen Firma – EDV-Beratung – gefährdet ist, wenn er die Fahrerlaubnis entbehren muss".

2. Bei einer Überschreitung der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 39 km/h muss sich dem Tatrichter die Prüfung der Frage aufdrängen, ob der Betroffene vorsätzlich gehandelt hat. Allein dessen Einlassung, er habe nicht so genau auf die Geschwindigkeit geachtet, rechtfertigt die Annahme von Fahrlässigkeit nicht.

OLG Düsseldorf (Beschluss v. 2.7.1998 - 5 Ss (OWi) 192/98 – (OWi) 86/98 I Verlags-Archiv Nr. 902)

A u s d e n G r ü n d e n :

Die Feststellungen zur inneren Tatseite und die Erwägungen zum Absehen von der Anordnung eines Fahrverbots unter gleichzeitiger Erhöhung der Regelgeldbuße halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift an den Senat ausgeführt:

"Nach ständiger Rechtsprechung des Senats erfordert ein Abweichen von der in § 2 Abs. 1 Bußgeldkatalogverordnung vorgesehenen Regelfolge des Fahrverbots eine besonders eingehende, mit Tatsachen belegte Begründung. Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.

Zur Begründung des Absehens reicht es jedenfalls nicht aus, dass der Betroffene besonders auf seine Fahrerlaubnis angewiesen ist. Auch berufliche Nachteile sind die gewöhnliche Folge eines Fahrverbotes und regelmäßig nicht als besonderer Härtefall anzusehen. Inwieweit die Berufsausführung des Betroffenen ohne Benutzung des selbst gesteuerten Pkws in einer nicht mehr zumutbaren Weise erschwert wird, ist zumindest nicht in einer zur Prüfung durch den Senat geeigneten Weise dargelegt. So ist insbesondere unerörtert geblieben, welche Kosten tatsächlich für den Betroffenen im Falle der Beschäftigung eines Fahrers während der Dauer des Fahrverbots entstünden.

Zudem erscheinen die Feststellungen nicht geeignet, den Schuldspruch nur wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu begründen. Das Urteil enthält hierzu lediglich die Wiedergabe der Einlassung des Betroffenen, "er habe nicht so genau auf die Geschwindigkeit geachtet", ohne jedoch eigene Feststellungen zu treffen, insbesondere ohne mitzuteilen, ob und gegebenenfalls warum das Gericht dieser Einlassung gefolgt ist. Bei einer innerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung von 39 km/h hätte es sich jedoch aufdrängen müssen, sich mit der Frage des Vorsatzes auseinander zusetzen. Die Differenz zwischen erlaubter und tatsächlich gefahrener Geschwindigkeit ist so erheblich, dass jeder Autofahrer, zumal wenn er wie der Betroffene offensichtlich über erhebliche Erfahrung verfügt, bemerken muss, dass er wesentlich zu schnell fährt. Irgendwelche Anhaltspunkte, die gleichwohl für ein fahrlässiges Verhalten sprechen könnten, werden nicht mitgeteilt. Die Feststellungen sind insoweit unzureichend und als Grundlage für die Entscheidung nicht geeignet."

Der Senat schließt sich dem an.

A n m e r k u n g :

Das Oberlandesgericht Düsseldorf behandelt in seinem Beschluss mit der Frage des Auferlegens eines Fahrverbotes bei Geschwindigkeitsüberschreitungen im Straßenverkehr eine immer wieder aktuelle Thematik des Straßenverkehrsrechts. Die praktische Bedeutung der Entscheidung für die Polizei liegt in der Information über die Kriterien beim Absehen von der Regelfolge des Fahrverbots und in der näheren Festlegung der erforderlichen polizeilichen Ermittlungen zur inneren Tatseite von Geschwindigkeitsüberschreitungen.

Es ist in der polizeilichen Praxis frustrierend, ständig miterleben zu müssen, dass von vielen Amtsrichtern offensichtlich beharrlich ignoriert wird, dass es sich bei überhöhter Geschwindigkeit zumal innerhalb geschlossener Ortschaften um eine der Hauptunfallursachen handelt. Nicht anders ist die Tatsache zu erklären, dass die Gerichte immer häufiger vom Verhängen eines Fahrverbotes absehen und statt dessen die festzusetzende Geldbuße angemessen erhöhen. Diese Praxis des Freikaufens von der Rechtsfolge des Fahrverbotes wird vom OLG Düsseldorf zu Recht als unrechtmäßig angesehen.

Zudem wird in dem angegriffenen Urteil abermals deutlich, dass der inneren Tatseite bei der Aburteilung von Ordnungswidrigkeiten nicht die Bedeutung beigemessen wird, die erforderlich wäre. Es beweist schon ein gutes Stück Leichtgläubigkeit, wenn das Amtsgericht bei einer innerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung von 39 km/h einer derartig fadenscheinigen Schutzbehauptung des Betroffenen folgt, ohne die innere Tatseite näher zu ermitteln.

In diesem Zusammenhang sollten auch Polizeibeamte, die bei Geschwindigkeitsmessungen mit nachfolgender Anhaltekontrolle beteiligt sind, den zu schnell gefahrenen Fahrern die notwendige Frage stellen, aus welchem Grund sie die zulässige Geschwindigkeit überschritten hatten. Auf diesem Weg befindet sich die Polizei in Bezug auf die Vollständigkeit ihrer Ermittlungen im OWi-Recht auf der sicheren Seite – wie und in welchem Umfang Bußgeldbehörde und Gericht diese Ermittlungen später verwerten, kann dann getrost abgewartet werden.

Hochschuldozent Dieter Müller, Rothenburg/Oberlausitz

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