Art der Veröffentlichung: Rezension einer gerichtlichen Entscheidung (Fassung unten = vollständiges Manuskript der später gekürzten Veröffentlichung)

Ort der Veröffentlichung: Neues Polizei Archiv (NPA), Heft 11/2000 Nr. 779

 

Amtliche Sicherstellung eines Grundstücks zur Vermeidung von Prostitution

S a c h v e r h a l t:

Im Jahr 1995 erwarb ein Ehepaar ein Grundstück in Thüringen, das mit einem Gebäude, genannt "Waldschlösschen" bebaut war. Auf ihre Anmeldung einer Schank- und Speisewirtschaft mit Beherbergungsbetrieb erteilte ihnen die zuständige Behörde eine entsprechende Erlaubnis, allerdings ohne die begehrte Beherbergungserlaubnis.

Ab dem Frühjahr 1996 wurde der Betrieb u. a. zur Prostitution genutzt, wobei im Rahmen einer polizeilichen Durchsuchung des Anwesens einige Prostituierte (u. a. ein 15-jähriges Mädchen) vorübergehend festgenommen wurden. In deren Folge widerrief die Gewerbebehörde nach einer Anhörung des Eigentümers die Gaststättenerlaubnis. Gleichzeitig wurde die sofortige Vollziehung der Verfügung angeordnet und für den Fall der Zuwiderhandlung die Versiegelung der Betriebsräume angedroht. Der Eigentümer begehrte gegen den Bescheid einstweiligen Rechtsschutz, den das Verwaltungsgericht Weimar zunächst ablehnte.

Dennoch wurde das Etablissement weiterhin zur Ausübung der Prostitution genutzt. Als im Sommer 1997 in Verlaufe einer weiteren polizeilichen Durchsuchung erneut Prostituierte festgenommen worden waren, veranlasste die Gewerbebehörde die Versiegelung des Anwesens. Zu einer Entsiegelung kam es erst, als der Gewerbebetrieb abgemeldet und die Erlaubnisurkunde zurück gegeben worden war. Nachdem im Rahmen einer dritten polizeilichen Durchsuchung wiederum Prostituierte aufgegriffen worden waren, wurde das Anwesen observiert und das Anwesen nach einer vierten Durchsuchung mit denselben Ergebnissen wie zuvor erneut, aber dieses Mal durch die Polizei versiegelt. Nach Aufhebung dieser Versiegelung stellte die Stadt die Gebäude mittels Bescheid sicher und vollzog diese Sicherstellung durch eine weitere Versiegelung.

Der Eigentümer erhob Anfang 1998 Widerspruch gegen den Bescheid und erhob im Mai 1998 Anfechtungsklage gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid der Stadt. Daneben begehrte er im Oktober 1999 einstweiligen Rechtsschutz, um damit zu erreichen, dass seine Klage eine aufschiebende Wirkung entfalten könnte. Zwischenzeitlich war der Eigentümer vom zuständigen Amtsgericht wegen Beihilfe zur Förderung der Prostitution zu einer Geldstrafe verurteilt worden.

Das Verwaltungsgericht Weimar sprach nach zwei missglückten Schlichtungsversuchen während zwei Erörterungsterminen, die Anfang 1999 und Anfang 2000 stattfanden, dem Eigentümer im März 2000 den begehrten vorläufigen Rechtsschutz zu.

VwGO § 80 Abs. 5

Thüringer Ordnungsbehördengesetz – OBG § 25 Abs. 1

1. Dass eine Sicherstellung im Laufe ihrer Dauer auch rechtswidrig werden kann, findet im übrigen seinen Ausdruck in § 25 Abs. 1 Satz 1 OBG, wonach die Sachen, sobald die Voraussetzungen für deren Sicherstellung weggefallen sind, an denjenigen herausgegeben werden müssen, bei dem sie sichergestellt worden sind. Diese für die Entscheidung über eine Anfechtungsklage anwendbaren Grundsätze finden entsprechend Anwendung im vorgelagerten einstweiligen Rechtsschutzverfahren.

2. Nach einer derart langen Zeitspanne seit der Sicherstellung kann nicht mehr mit Erfolg auf die Vorgeschichte, die ursprünglich wegen des unmittelbaren zeitlichen Zusammenhanges zur Begründung einer gegenwärtigen Gefahr herangezogen werden durfte, verwiesen werden, zumal der Antragsteller in der Zwischenzeit offenbar keine weiteren Aktivitäten im Rotlicht- Milieu mehr gezeigt hat. Verwaltungsgericht Weimar (Beschluss v. 28.3.2000 – 2 E 3744/99.WE – Verlags-Archiv Nr. 779 )

A u s d e n G r ü n d e n:

Ob einem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO stattzugeben ist, haben die Verwaltungsgerichte unter Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen zu entscheiden. Für das Interesse des Betroffenen, einstweilen nicht dem Vollzug der behördlichen Maßnahme ausgesetzt zu sein, sind zunächst die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsmittels von Belang. Auch das Gewicht des öffentlichen Vollzugsinteresses hängt davon ab, inwieweit der Bescheid der im Eilverfahren gebotenen rechtlichen Überprüfung standhält. Die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs können allerdings im Eilverfahren regelmäßig nicht abschließend beurteilt werden. Geboten ist nur eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage. Während das Gericht Rechtsfragen grundsätzlich auch im Eilverfahren klären kann und muss, scheidet eine abschließende Aufklärung der Sachlage bei komplexen, strittigen oder nicht hinreichend gesicherten Sachverhalten zumeist schon wegen der Eilbedürftigkeit der gerichtlichen Entscheidung aus.

Daraus folgt, dass ein öffentliches Interesse an der Durchsetzung der getroffenen Regelung nicht bestehen kann, wenn nach dem Ergebnis der summarischen Prüfung das Rechtsmittel offensichtlich aussichtsreich ist, weil der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig ist. Andererseits wird regelmäßig ein Eilantrag abzulehnen sein, wenn der Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist und Eilbedürftigkeit vorliegt. Ist hingegen bei summarischer Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Ausgang des Verfahrens offen, kommt es ausschlaggebend auf eine Abwägung zwischen den für einen sofortigen Vollzug sprechenden öffentlichen Interessen einerseits und dem Interesse des Betroffenen an einer Aufschiebung der Vollziehung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über sein Rechtsmittel andererseits an.

In materieller Hinsicht überwiegt das Interesse des Antragstellers, von der weiteren Vollziehung der Sicherstellungsverfügung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache verschont zu bleiben. Bei einer summarischen Prüfung kommt die Kammer nämlich zu dem Ergebnis, dass der angefochtene Bescheid zumindest zum jetzigen Zeitpunkt rechtswidrig ist.

Die Sicherstellungsverfügung in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ist zum jetzigen Zeitpunkt, nämlich zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts über den Eilantrag, rechtswidrig, weil die Sicherstellungsvoraussetzungen gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 1 Ordnungsbehördengesetz (OBG) derzeit nicht (mehr) vorliegen.

Die Sicherstellungsmaßnahme dürfte bei summarischer Prüfung nach Auffassung der Kammer zum Zeitpunkt ihrer Anordnung und auch noch zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides rechtmäßig gewesen sein (wird ausgeführt).

Selbst wenn der Antragsteller (Eigentümer) nicht Mitbetreiber des Bordellbetriebes gewesen sein sollte, so hatte er jedenfalls hiervon Kenntnis und duldete dies auch. Damit ist der Antragsteller nach der Rechtsauffassung der Kammer ordnungsrechtlich in jedem Falle als Verhaltensstörer für die Störung der öffentlichen Sicherheit und damit für die gegenwärtige Gefahr verantwortlich: Handelt es sich beim Antragsteller um den Mitbetreiber des Bordellbetriebes, ist er unmittelbarer Verhaltensstörer, denn er hat durch die Förderung der Prostitution selbst gegen Strafgesetze (§ 180 a StGB) verstoßen. Sollte der Antragsteller hingegen lediglich wissentlich Räume zur Ausübung der verbotenen Prostitution überlassen haben, ist er als mittelbarer Verhaltensstörer (Zweckveranlasser) gleichwohl ordnungsrechtlich verantwortlich.

Ebenso wenig dürfte die Sicherstellungsmaßnahme selbst rechtlich zu beanstanden sein (wird ausgeführt).

Jedenfalls aber zum jetzigen Zeitpunkt liegen die Voraussetzungen der Sicherstellung gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 1 OBG nicht (mehr) vor, da derzeit keine gegenwärtige Gefahr (mehr) erkennbar ist. Dass eine Sicherstellung im Laufe ihrer Dauer auch rechtswidrig werden kann, findet im übrigen seinen Ausdruck in § 25 Abs. 1 Satz 1 OBG, wonach die Sachen, sobald die Voraussetzungen für deren Sicherstellung weggefallen sind, an denjenigen herausgegeben werden müssen, bei dem sie sichergestellt worden sind. Diese für die Entscheidung über eine Anfechtungsklage anwendbaren Grundsätze finden entsprechend Anwendung im vorgelagerten einstweiligen Rechtsschutzverfahren. Danach ist aber für die Kammer auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Antragsgegnerin (der Stadt) eine gegenwärtige Gefahr dergestalt, dass der Antragstellung nach Aufhebung der Sicherstellung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Waldschlösschen wieder der Ausübung der verbotenen Prostitution zuführt, derzeit nicht (mehr) erkennbar (wird ausgeführt). Schließlich kann nach derart langer Zeitspanne seit der Sicherstellung auch nicht mehr mit Erfolg auf die Vorgeschichte, die ursprünglich wegen des unmittelbaren zeitlichen Zusammenhanges zur Begründung einer gegenwärtigen Gefahr herangezogen werden durfte, verwiesen werden, zumal der Antragsteller in der Zwischenzeit offenbar keine weiteren Aktivitäten im Rotlicht-Milieu mehr gezeigt hat. Erforderlich für die Darlegung einer mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit der Wiederaufnahme des Bordellbetriebes wäre aber z.B. die Feststellung gewesen, dass der Antragsteller weiterhin die Prostitutionsausübung fördert und deshalb das Waldschlösschen ohne weiteres wieder hierzu nutzen wird. Derartiges hat die Antragsgegnerin aber gerade nicht angeführt. Nach alledem erscheint die Sicherstellung des Waldschlösschens derzeit rechtswidrig, weshalb auf den Antrag des Antragstellers hin die aufschiebende Wirkung seiner Anfechtungsklage nunmehr wiederherzustellen ist.

A n m e r k u n g:

Das Verwaltungsgericht Weimar befasst sich in seinem Beschluss mit einer Problematik aus dem Bereich des allgemeinen Polizeirechts. Es geht in der Sache um einen Streit, der seine Tatsachengrundlage im Rotlicht-Milieu findet. Die tatsächliche Bedeutung der in diesem Milieu tagtäglich stattfindenden Straftaten für die Polizei liegt dabei auf der Hand.

Im vorliegenden Fall wusste sich die zuständige Stadt offensichtlich keinen anderen Rat mehr, als das Etablissement nach Polizeirecht sicherzustellen und zu versiegeln. Nach einem Blick auf den Sachverhalt, der vier polizeiliche Durchsuchungen mit einschlägigen Erfolgen dokumentiert, wird deutlich, mit welcher Hartnäckigkeit im Waldschlösschen der Prostitution nachgegangen wurde. Dass dabei der Polizei sowie der Stadt von seiten der Betreiber nur mit Hohn und Spott begegnet wurde sei dabei nur am Rande erwähnt. Viel wichtiger an der dargestellten Tatsachengrundlage erscheint aber zu sein, dass es weder vom Gericht noch von der beteiligten Stadt mit dem gebotenen Nachdruck auf die menschlichen Schicksale der "benutzten" Prostituierten eingegangen wurde. Wenn wie im vorliegenden Fall sogar ein 15-jähriges Mädchen aufgegriffen worden war, spricht dies Bände für die menschenverachtende Handlungsweise der beteiligten Zuhälter.

Einem solchen von einem Strafgericht verurteilten Zuhälter hat das Verwaltungsgericht Weimar nun im Ergebnis Recht gegeben und damit sowohl der beteiligten Stadt wie auch der von derartigen gerichtlichen Erkenntnissen mittelbar betroffenen Polizei einen Bärendienst in deren Kampf mit der Prostitution erwiesen. Die in diesem Zusammenhang vom Gericht dargebrachte Begründung kann daher auch nicht überzeugen. Das Gericht hält eine gegenwärtige Gefahr zum Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht mehr für gegeben und bewertet damit die Tatsache, dass es sich bei dem Antragsteller um einen verurteilten Förderer der Prostitution handelt nicht in dem gebotenen Ausmaß. Mit einer Abwägung, dass zwischenzeitlich keine weiteren Rotlicht-Aktivitäten des Antragstellers mehr nachweisbar seien, folgt das Gericht dem Antragstellern in einer Naivität, die praxisfern und im Ergebnis unverständlich ist. Wie sollte der Antragsteller auch weiterhin die Prostitution fördern, wenn sein Etablissement versiegelt ist ?

Dass die Gerichts- und Anwaltskosten nun der hilflosen Stadt und damit der kommunalen Kasse zur Last fallen ist die Folge eines verwaltungsgerichtlichen formaljuristisch gefällten Beschlusses, der jegliches praktisches Gespür für ein großes gesellschaftliches Problem und dessen ordnungsbehördliche Lösung vermissen lässt. Rechtsstaatlich sicherlich korrekt, aber in der Sache verfehlt ist das Fazit dieses Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts Weimar. An diesem auch für die Polizei frustrierenden Ergebnis ändert auch die Tatsache nichts, dass dem Beschluss eine 20-seitige Begründung beigefügt wurde. Man sollte dem Staat gerade an den Verwaltungsgerichten Richter wünschen, die mehr Gespür für die Gefahren besitzen, die von Prostitution ausgehen, Gefahren, mit denen die Polizei tagtäglich ausdauernd kämpfen muss.

Prof. Dr. Dieter Müller, Rothenburg/Oberlausitz

© www.sichereStrassen.de