50 Jahre Verkehrspolitik in Bonn. Ein Mann und zehn Minister.
Horst Heldman
Kirschbaum Verlag, Bonn 2002. 608 Seiten, gebunden. ISBN 3 7812 1565 2. 44,80
€.
gelesen und bewertet von Prof. Dr. jur. Dieter Müller,
Bautzen
Was haben die persönlichen Erinnerungen eines hohen
Ministerialbeamten aus dem Bundesverkehrsministerium (BMV) mit der Suche und
dem Streben nach Verkehrssicherheit -wie es die Ihnen vorliegende Zeitschrift
als Programm vertritt- gemeinsam? Auf den ersten Blick nicht besonders viel,
aber auf den immens wichtigeren zweiten Blick ein gerüttelt Maß.
Der Autor dieses fulminanten Wälzers von 608 Seiten Umfang im Format DIN-A-4
ist kein geringerer als der pensionierte Ministerialdirektor Dr. Horst Heldmann.
Dieser war 36 Jahre lang im Bonner Bundesverkehrsministerium tätig und
versah seinen Dienst während dieser Zeit unter nicht weniger als zehn Ministern
als vielfach fachlich beschlagener Verkehrsexperte. Diese berufliche Spannbreite
eines ausgefüllten Beamtenlebens wird auf jeder Seite des Buches sichtbar.
Hier spricht ein profunder Kenner der Materie, dessen Beruf ihm nicht nur zum
Broterwerb diente, sondern ihm seine persönliche Berufung war. Im Rahmen
seiner vorliegenden und aus der Ich-Perspektive geschriebenen beruflichen Autobiographie
versteht es der Autor trotz oder gerade wegen der vielen berichteten Einzelheiten
und Begebenheiten aus seinem abwechslungsreichen Arbeitsleben den interessierten
Leser zu fesseln. Dabei bettet er sein Berufsleben ein in einen Bericht über
50 Jahre Verkehrspolitik in Bonn (1949 - 1998). Minutiös listet Heldmann
in dieser Chronik des Bundesverkehrsministeriums wichtige Zahlen und Fakten
auf, die es allemal wert sind, der Nachwelt erhalten zu bleiben. Hier breitet
sich ein materieller Wissensfundus aus, der zum Thema der Verkehrspolitik in
Deutschland seinesgleichen vergeblich sucht. Aber nach diesen ersten Eingangsworten
nun ein Blick in die Inhalte. Die Chronik ist nach einer sachdienlichen persönlichen
Vorbemerkung übersichtlich eingeteilt in die zehn Amtsperioden der Verkehrsminister,
unter denen der Autor im BMV tätig war. Dabei führt die Vorbemerkung
bereits sorgsam in die zuweilen von außen kaum übersichtliche Materie
ein. Nicht zu unterschätzen ist der bereits in der Vorbemerkung erkennbare
persönliche Aspekt des Buches, der sich wie ein roter Faden deutlich sichtbar
durch das gesamte Werk zieht. Will sagen: Verkehrspolitik wird von Menschen
gemacht, von Menschen mit all ihren Stärken und Schwächen und die
Ergebnisse dieses menschlichen Tuns lassen durchaus Rückschlüsse auf
die äußeren und inneren Bedingungen zu, unter denen diese praktische
Politik gestaltet wurde und noch wird. Manchmal sind es gerade die ganz kleinen
Dinge und Erinnerungen, die ein erhellendes Licht auf die Arbeit in einer Ministerialbehörde
wie dem BMV werfen. Auch diese Begebenheiten verschweigt der Autor nicht, weil
er sicher weiß, dass gerade diese beispielhaften Anekdoten das Salz in
der Suppe einer guten Biographie sind. Gerade die zuweilen frappierende Qualität
dieser vielen kleinen Bonmots macht das Buch lesens- und sogar ein wenig liebenswert.
Deutlich wird aber auch, und dies ist einer der besonders bemerkenswerten Verdienste
des Autors, dass die Ministerialbürokratie nicht nur im BMV ein Eigenleben
führt, das von den Polen Planstellen und Karrierewünsche nicht nur
am Rande gekennzeichnet wird. Auch bei heiklen Themen verschweigt Heldmann seine
persönlichen Einstellungen nicht, wie seine Abneigung gegen eine Versorgungsmentalität
im Beamtentum deutlich macht (von ihm humorvoll als "Reform des Dienstrechts"
bezeichnet S. 230). In der eindrücklichen Darstellung Heldmanns werden
neben den positiven Seiten der verschiedenen Minister natürlich auch deren
Schattenseiten sichtbar. Sie erscheinen dabei in dem Buch als Persönlichkeiten,
deren Werden und Wirken stark von ihren verschiedenen Charakterzügen bestimmt
war. Zwangsläufig werden dadurch Unterschiede zwischen den Menschen sichtbar.
Die Spannbreite dieser Persönlichkeitsbeschreibungen reicht dabei von souveränen
Haltungen (Dr.-Ing. Hans-Christoph Seebohm, S. 31) bis hin zu opportunistischen
Attitüden im Ministerhandeln (Dr. Werner Dollinger, S. 281), wohl tuender
Entscheidungsfreude in der Sache (Dr. Friedrich Zimmermann, S. 411) und überflüssigen
Ablenkungen durch persönliche Charakterschwächen (Prof. Dr. Günther
Krause, S. 507). Aber auch die verschiedenen Mitarbeiter des Ministeriums werden
von Heldmann in einer zuweilen entlarvenden Sichtweise dargestellt (wie etwa
der häufig zu beobachtende Vorgang des "Einschleimens" karrieresüchtiger
Beamten auf S. 109). Tatsächlich ist es nämlich auch in der Arbeit
in einer Ministerialbürokratie nicht hinweg zu leugnen, dass "die
Chemie", sprich die persönliche Beziehung zwischen den Akteuren stimmen
muss (angesprochen auf S. 170), um zu guten Arbeitsergebnissen gelangen zu können.
Das A und O dieses Buches machen aber die in zuvor kaum gekannter Fülle
vorgetragenen Sachinformationen aus. Diese umfassen die gesamte Bandbreite der
im BMV verantworteten Tätigkeitsbereiche und reichen von wirtschaftspolitischen
Fragestellungen über steuerpolitische Problemstellungen bis hin zu Fragen
der Verkehrsinfrastruktur und Verkehrssicherheit. Mit phänomenaler Detailkenntnis,
die auf ein über die vielen Jahre entstandenes persönliches Archiv
gestützt ist, vermag der Autor immer wieder Hintergründe aufzuhellen,
die Schlaglichter auf die Arbeit im BMV, ja auf die Arbeit in der Ministerialbürokratie
überhaupt werfen lassen. Aus dem gesamten Material könnten etwa die
"verkehrspolitischen Dauerbrenner" wie die Diskussionen um ein Tempolimit
auf Autobahnen (z. B: S. 108 ff.), um den ÖPNV (S. 144 ff., 431 ff.) oder
um die Organisation der Flugsicherung (S. 287 ff., 479 ff.) als Beispiele immer
wiederkehrender Sachthemen genannt werden. Dabei gelingt es dem Autor ein ums
andere Mal deutlich werden zu lassen, dass verkehrspolitische Arbeit nur allzu
oft im voraus wenig berechenbar ist (etwa im Rahmen des auch im BMV zuweilen
chaotisch verlaufenen Prozess der deutsch-deutschen Einigung, z. B. S. 468 ff.).
Sichtbar wird durch die verdienstvolle schriftstellerische Leistung des Autors
aber auch, dass verkehrspolitische Arbeit im Sinne der Verkehrssicherheit einen
langen Atem besitzen muss, um letztendlich erfolgreich zu sein (wie beim heute
kaum noch nachvollziehbaren Kampf um die bußgeldbewehrte Gurtanlegepflicht,
S. 271 ff.). Dabei verschweigt Heldmann aber auch nicht seine Frustration über
die prinzipiell mangelnde Sachorientierung in der (verkehrs-) politischen Arbeit,
die an immer wiederkehrenden Stereotypen zwischen dem Regierungs- und Oppositionshandeln
mit ihren dümmlichen Ablehnungsmechanismen nur allzu deutlich wird (z.
B. S. 467). Wie wahr ist es doch, dass sachorientierte Verkehrspolitik gegenüber
ziellosem Personen- und Parteiengeschacher viel zu oft in den Hintergrund gerät,
was auch an dem Verschleiß an Verkehrsministern unter dem jetzigen Bundeskanzler
Schröder deutlich wird, der seit 1998 mit Dr. Stolpe bereits seinen vierten
Verkehrsminister unter seiner Ägide auf der politischen Bühne agieren
lässt (nach Müntefering, Klimmt und Bodewig). Vielleicht als ein Fazit
seiner Chronik lässt Heldmann im wohl tuenden Gegensatz zu jedwedem opportunistischem
Parteienkalkül zum Schluss "seinen" ersten Minister Dr.-Ing.
Seebohm sprechen, dem, ebenso wie Heldmann, eine philosophische und über
den Tellerrand hinaus blickende Sicht der Dinge stets am Herzen lag. Beide mahnen
die Leser eindringlich dazu, bei allen im Verkehrsbereich zu berücksichtigenden
Entscheidungen der menschlichen Sichtweise gegenüber der technokratischen
Sicht den Vorzug zu gewähren. Das Werk ist nach alledem nicht weniger als
ein profunder Almanach der deutschen Verkehrspolitik der Jahre 1959 bis 1998
und allemal zu schade, um nach einem Kauf in einem Regal zu verstauben. Es will
genutzt werden, um wichtige Hintergrundinformationen zu erhalten, die das (verkehrs-)
politische Handeln über den Tätigkeitsbereich des BMV hinaus verständlicher,
menschlicher und für die Zukunft fruchtbarer werden lassen können.